Sylvie LeBonheur - Wenn das Leben dir Hühner schenkt, mach Eierlikör oder geh demonstrieren

Der Schreibimpuls findet sich am Ende der Seite

„Dies ist die Auftaktmail zu unserer Schreibwoche für "Rahmen und Reiz"! Ich freu mich, dass du dabei bist :) Es liegt natürlich ganz bei dir, wie viel Kraft und Lust du in der Woche hast!“ 

 

Null, Niklas. Null. Letzte Woche wäre perfekt gewesen, da war ich kreativ ohne Drogen. Vorletzte Woche hatte ich Urlaub und richtig gute Laune. Diese Woche ruft das Tierheim nicht zurück, und wenn dann nur, wenn ich nicht rangehen kann, die scheißverfickte Wurzelspitzenresektion hat bestimmt Nervenschäden am Kinn hinterlassen, die mich auf unbestimmte Zeit werden sabbern lassen, und ich habe herausgefunden, dass man von der Straße bis in den Flur schauen und mich sehen kann, wie ich halbnackt nach dem Duschen die Treppe hochhusche, zum Glück hab ich kein Schamgefühl mehr nach drei Krankenhausaufenthalten in zwölf Monaten, Glück im Unglück haha, und jetzt, lieber Niklas, jetzt hab ich die Nacht schlecht geschlafen, nicht etwa weil mir die Katze wieder um fünf Uhr morgens unters Bett gekotzt hätte (war aber nicht der Grund für den Anruf im Tierheim), sondern weil ich Stress habe, weil ich doch keine Ideen habe, weil ich ja gar nix mehr erlebe in meiner selbstgewählten Einsamkeit hier auf dem Land(1), naja, meine Mutter ist in vier Wochen zweimal hingefallen und ich kriege jetzt auf facebook immer Notfallsysteme für Senioren angezeigt, andererseits kommt auch Werbung für Eistonnen, es ist nie zu spät für eine Hobbykarriere als Fußballspielerin, außer natürlich wenn‘s zu spät ist, darüber weißt du bestimmt mehr, und jetzt sitz ich hier am Schreibtisch und schreibe eine Stunde lang (noch 50 Minuten übrig, das wird ja lustig), damit ich dir was schicken kann, damit du mir Rückmeldung geben kannst, bestimmt hat irgendjemand schon mal die schlaue Idee gehabt, dir stream-of-consciousness-mäßig auf ner Metaebene zu schreiben, ich könnte es recherchieren, aber ich hab ja keine Zeit (ticktock). 

Draußen reißt der Wind am Rollladen. Jemand ruft laut nach Alteiseeeeen, und wenn man eine Weile lauscht, hört man die BASF summen, oder Helmut Kohls Geist herumirren. Ein kühler Luftstrom streicht mir über den Rücken, hallihallo.  

Niklas, du machst dir keine Vorstellung davon, wie das Leben hier(2) so ist. Jeden gottverdammten Morgen kratz ich Hühnerscheiße vom Gitter des 900-Euro Hühnerstalls, für den ich auf facebook in einschlägigen Hühnergruppen gehatet würde, weil er Tierquälerei ist, angeblich(3), aber du kennst mich, oder? Niemals würde ich Hühner quälen, und wenn, dann würde ich keine 900 Euro dafür ausgeben, des tät der Schwabe in mir gar ned erlaube. Apropos Schwabe in mir: Diese Woche hab ich mein fünfjähriges Beziehungsjubiläum, das ist die längste reziproke Liebesbeziehung, die ich je hatte, wer hätte es mir zugetraut, die wenigsten, aber ich wusste schon immer, was ich will: Eine Liebesbeziehung, ein Häuschen in fucking Oggersheim mit toller Hausgemeinschaft, Hühnerkackekratzjob und Kotzekatze.

Kotzekatze streicht mir gerade versöhnlich um die Beine; sie hat es nicht leicht, weil sie immer Mäuse fängt, die sie in der Wohnung freilässt, damit sie länger was von hat. Die Mäuse verstecken sich dann in der Küche, unterm Sofa oder hinter der Waschmaschine und tun sich an  verirrten Meisenknödeln, halb angebissenen Proteinriegeln und Toastbrot gütlich, und wenn ich die Mäuse nach ein paar Tagen wohlgenährt durch die Wohnung flitzen sehe, dann fang ich sie, setz sie zurück in den Garten, obwohl wir doch viel zu viele Mäuse haben und die Katze auf jeden Fall Mäuse fangen soll, vor allem weil das besser ist als Jungvögel, da flippt der Mitbewohner wieder aus und schickt Weinesmileys durch den Hausgruppenchat und schlägt ein Glöckchen um den Katzenhals vor, als wäre die Katze noch nicht neurotisch genug.  

Eben jener Mitbewohner fragte gestern, als ich ihm von meinem aktuellen Schreibauftrag berichtete und er zum Trost selbstgebackene Bananenmuffins überreichte, ob ich dran gedacht hätte, den Text von Chat GPT schreiben zu lassen.  

Weißt du, was Chat GPT zu deinem Schreibimpuls ausgespuckt hat? Eine Geschichte über eine Frau namens Emily, die als Kind gern Süßigkeiten aß und davon träumte, ein Café zu eröffnen, dann aber merkt, dass Kuchen dick macht und clean food viel bekömmlicher ist und sich bis ans Ende ihres Lebens von Grünkohl und Quinoa mit gegrillter Hühnerbrust ernährt. - Also ich sag mal so: hätte dein Schreibauftrag gelautet, einen Besinnungsaufsatz im Stil einer Sechstklässlerin zu verfassen, hätte ich mit mit copy-paste einen schlanken Fuß gemacht. Chat GPT macht mir, was mein eigenes Schreiben angeht, überhaupt keine Angst, denn ich schreibe am liebsten über mich und mein Leben, und zu diesem Thema hat die App nur substanzlose Schmeicheleien auf Lager, die sie garantiert jedem willfährigen Schreibimpulsopfer vor den Latz knallt („you may possess strong critical thinking skills and an open-mindedness“ ehm ja, hdf, wir kennen uns erst seit 5 Minuten, schick mir erstmal ein dick pic, bevor du mich vollsülzt). 

Was wolltest du werden, als du Kind warst? Ich hab eine Vermutung, die sich in einer Anspielung weiter vorne im Text versteckt, geht aber niemanden was an, wie unsere kindlichen Sehnsüchte aussahen. Also ich wollte Wellensittichzüchterin oder Bäuerin werden und bin dementsprechend mit den Hühnern im Garten meinem kindlichen Ideal einer erwachsenen Version meiner selbst recht nahe. Hühner sind zwar nicht bunt, jedenfalls nicht unsere, die sind weiß und hässlich wie die Nacht, dafür legen sie jeden Tag ein Ei (was vermutlich kein normaler Wellensittich machen würde, bless their souls).  

Inzwischen ist es fünf Uhr morgens. Ich gebe zu, ich hab eine Pause eingelegt, in der ich laut Fitness-Smartwatch zuerst über achttausend Schritte zurückgelegt und dann vier Stunden mäßig geschlafen habe. Eigentlich gehe ich gern früh ins Bett, der Schlaf vor Mitternacht ist der wichtigste, pflegt meine Patentante zu sagen, weil der schön mache, und sie ist auch eine sehr attraktive Frau, trotzdem war ich eine Eule vor dem Herrn, bis alles sich änderte, wie es das eben tut im Laufe einer Existenz, manche schwören den Süßigkeiten ab und begraben ihr altes fettes Selbst unter einem Haufen Steckrüben, andere stellen ihre Schlafgewohnheiten um, nicht wegen Hässlichkeit, sondern wegen der Hühner und einer aufmerksamkeitssuchenden Katze. Bananenmuffins finde ich einen ausreichend guten Kompromiss zwischen süß und gesund; ich persönlich hätte noch Rum in den Teig, aber im Zweifelsfall nehm ich, was ich kriege.

 

 

 

(1) Streng genommen lebe ich in Stadtrandlage, aber es kommt einem nach 10 Jahren in Mannheims Innenstadt wie die Uckermark vor

(2) In Oggersheim in einer Hausgemeinschaft

(3) Der Hersteller des besagten Hühnerstalls klingt wie ein missglücktes Spiegelei, aber in falsch geschrieben; ich möchte es nicht mysteriöser machen als es ist, aber wer eine Tierhaltergruppe auf Facebook kennt, der kennt sie alle und wird verstehen, warum ich mich hier nicht angreifbarer machen möchte als unbedingt notwendig

 





Schreibimpuls: 

Schreibe einen Text, in dem jemand etwas Überraschendes lieben
und etwas anderes hassen lernt.